Alexander Kissler: Die Infantile Gesellschaft. Buchbesprechung

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So wir nicht werden wie die Kinder...

Der Widerstand gegen infantile Gesellschaft begleitet auch mich mein Leben lang. Alles, was ich seit 40 Jahren auf der Bühne biete, meine Jahrzehnte an Hochschulen und in der Jugend- und Erwachsenenbildung, meine Essays und Vorträge sind immer auch Statements gegen das Infantile.

Gleichzeitig liebe ich wie Alexander Kissler, (erwachsene) Kindlichkeit.

Eine meiner Lieblingsstellen in der Weltliteratur: „...Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, dass ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ (Matthäus 18,3) Meine Erfahrung mit Kindern: Von sich aus sind sie meist nicht kindisch. Sie werden von albernen Erwachsenen kindisch gemacht.

Kissler hat das Thema Infantilgesellschaft systematisch durchgearbeitet. Ich streiche so viel an in diesem Buch, dass die Markierungen fast ihre Funktion einbüßen. Oft, weil ich mit Alexander Kissler übereinstimme, aber auch weil ich immer wieder Einsichten finde, die mein Verstehen der infantilen Gesellschaft vertiefen. Kissler holt weit aus und geht ins Detail. Hier ein paar Stichworte und Kapitelüberschriften: Babys in Mittleren Jahren..., Trau der Sau, folge dem Vogel, hilf, Amöbe hilf..., Greta, Luisa, Felix & Co..., Du, Du, Duz mich doch..., Kissler schließt seine Streifzüge mit dem aufbauenden Kapitel ab: Wie man erwachsen wird.

Unter den vielen Höhepunkten dieses Buches möchte ich Kisslers Analyse der „Leichten Sprache“ und ihrer domestizierenden, gleichmachenden und geistig verzwergenden Funktionen hervorheben (S. 143 ff.): „Weil jeder Unterschied als ausgrenzend gilt, grenzt man alle aus, die mehr vom Leben erwarten als den nächstliegenden Gedanken, das billigste Einverständnis, die schnellste Erklärung.“ (S. 155) Dass Kissler unter vielen anderen in Beispielen die Sprache der Bundeskanzlerin analysiert, ist unvermeidlich. Sein Befund: „Die Sprache der Kanzlerin ist gekennzeichnet durch Armut im Ausdruck, durch wenige Verben, die ständig wiederholt werden, und durch eine große Vorliebe für Hilfsverben.“ (S. 146) Tatsächlich ist die „Leichte Sprache“ eine besonders schwere, weil Menschen, die auf sie angewiesen sind, vermutlich Probleme haben, den kommunizierten Sachverhalt kritisch zu verarbeiten. „Leichte Sprache“ suggeriert Einfachheit, wo Komplexität herrscht.

Kapitel „Die große Tukan-Verschwörung“: „Wie die Kirchen sich überflüssig machen, indem sie uns für dumm verkaufen.“ Als pietistischer Agnostiker kann ich hier jeden Satz unterstreichen. Wenn es in den Kirchen noch einen Rest des Geistes gäbe, der da spricht: „Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“ (Matthäus 11,15), müsste dieses Kapitel als Lektüre in Gemeinden, für Dekane und Bischöfe und in der Pfarrerausbildung herangezogen werden.

Instrumentelles Infantilisieren arbeitet nicht nur mit „Big Brother Is Watching You!“ sondern längst auch mit „Big Sister Is Nudging You!“ Was das bedeutet? Lesen Sie bei Kissler.

Alexander Kissler ist ein besonderer Wurf gelungen: Scharfsichtige Gesellschaftsanalyse und Aufklärung par excellence. Ich werde in das Buch regelrecht hineingezogen, von Satz zu Satz, von Seite zu Seite. Achtung: Lesen kann süchtig machen! Das musste ich bei diesem Buch wieder erfahren.


Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 24. Oktober 2020

Alexander Kissler: Die Infantile Gesellschaft. Wege aus der selbstverschuldeten Unreife.     HarperCollins. Hamburg 2020.

Vom Fleisch der ewigen Vergänglichkeit

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Bibliografie von Hans-Peter Schwöbel
Vom Fleisch der ewigen Vergänglichkeit
Essays und Plädoyers 1
2. Auflage. Borgentreich 2021. 160 Seiten, gebunden, Fotos, Lesebändchen. 25,- €

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Fluchtkulturen

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