Es gibt keine ökonomischere Ökonomie als eine ökologische

Geschrieben von Prof. Dr. Hans-Peter Schwöbel

Ökonomie - Reich der Knappheit
...Ökonomie, griechisch, oikos = Wohnung, Haus, Haushalt, Hauswirtschaft. nomos = Gesetz, Brauch, Übereinkunft. oikonomia = Haushaltung. Ökonom = Haushalter, Verwalter, Wirtschafter, ebenso Wirtschaftswissenschaftler. Mir scheint, im Zentrum europäischen Wirtschaftsverständnisses stehen von alters her weder Geld noch Markt, weder Profit noch die Börse, sondern der zu eigenen und eigenverantwortlichen Einsichten, Urteilen, Entscheidungen und Handlungen fähige Mensch, der Ökonom, dessen gesellschaftliche Funktion ich mit ‚der verantwortungsbewusst, effizient und produktiv mit Knappheit Umgehende' beschreiben möchte.



Ökologie: oikos – wie oben - plus logos = Rede, Wort, Vernunft, Wissenschaft. Ökologie ist die Wissenschaft von den Beziehungen der Lebewesen zu ihrer Umwelt. Sie ist die Wissenschaft und das Ideengebäude vom Naturhaushalt einschließlich der Interventionen des Menschen in diesen Haushalt.

Wenn sich die Begriffsbedeutungen von Ökologie und Ökonomie rational ausgebildet hätten, könnte Ökologie für die Wissenschaft vom Haushalt (Natur- und Menschenhaushalt) und Haushalten stehen. Die praktischen Dimensionen des Haushaltens, Wirtschaftens (Planen, Entscheiden, Handeln, Regulieren, Verfassen, Produzieren, Benutzen, Konsumieren...) könnten mit dem Wort Ökonomie erfasst werden.


Natürlich wandelt sich die Bedeutung von Wörtern im Laufe der Zeit, und es ist nicht möglich, einfach eine ‚ursprüngliche', ‚eigentliche' Bedeutung wieder in Kraft zu setzen, zumal es letzte Authentizität nicht gibt. Alles, was wir an Sprachinhalten über die Jahrtausende finden können, ist schon Verwandeltes. Dennoch kann es hilfreich sein, früheren Bedeutungen nachzuspüren; denn der Wandel erfolgt im Zusammenhang individueller und kollektiver Interessens- und Aufmerksamkeitsverschiebungen. Dabei können wichtige Aspekte verloren gehen. Das Gedankenspiel‚ „Was wäre, wenn die Begriffe anders organisiert würden und damit unsere Aufmerksamkeit und Kommunikation auf andere Weise leiten würden?", könnte helfen, die unsachgemäße Trennung zwischen Naturhaushalt und Menschenhaushalt zu überwinden, und uns von den wissenschaftlichen Fragestellungen wie auch den praktischen Handlungsmöglichkeiten (-risiken, -kosten, -erfolgen) in den allumfassenden Ressourcenprozess zu stellen. Die Wissenschaft vom Haushalt und Haushalten ‚Ökologie' würde sich als Sozial- respektive Kulturwissenschaft und als Naturwissenschaft verstehen und entwickeln müssen. Zuweilen geschieht dies auch.

Der praktisch handelnde Ökonom (jeder, der an der Entwicklung, Pflege, Bereitstellung und Nutzung von Ressourcen beteiligt ist) sollte bestimmte psychische, soziale, organisatorische, naturwissenschaftliche und technische Kenntnisse und Kompetenzen entwickeln, die ihn befähigen, Ressourcen zu pflegen. Da jeder Mensch in irgendeiner Weise in diese Prozesse verwickelt, mithin Ökonom ist, würden sich daraus ernorme Konsequenzen für die Curricula aller allgemein bildenden aber auch spezifischen Bildungssysteme ergeben vom Kindergarten über Grund-, Haupt- und Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen, beruflichen Bildungssystemen, Erwachsenenbildung und Universitäten. Gerade die hochgradige Arbeitsteilung moderner Gesellschaften macht übergreifende Einstellungen und Kompetenzen erforderlich. Ein geschärftes Ressourcenbewusstsein gehört dazu. Vor allem aber alle professionellen Ökonomen (Wirtschafter, Betriebs-, Unternehmens-, Verwaltungsführer, politischen Entscheider etc.) müssten über diese geistige Grundausrüstung in Sachen Ökonomie verfügen.

Wichtigste Schlüsselkompetenz wäre eine konsequente Aufmerksamkeit gegenüber Ressourcen: die Fähigkeit zu erkennen, welche Ressourcen ich an meinem Arbeitsplatz, in der Freizeit, in der Familie, bei der Ausübung meines Hobbys, beim Reisen etc. in Anspruch nehme, und wie sich mein (unser) Verhalten auf den Zustand und die Entwicklung dieser Ressourcen auswirkt. Und: meine und unsere beharrliche Aufmerksamkeit muss auch der Frage gelten, ob das, was ich, was wir tun, eher wertschöpfende oder eher destruktive Wirkungen hat. Natürlich sind dies sehr schwierige Fragen und wir werden auf eine Menge von Ambivalenzen stoßen. Dennoch müssen wir uns ihnen sowohl in der individuellen Lebensplanung als auch der öffentlichen Debatte stärker stellen als es bisher. Die Fragen sind auch deshalb schwierig, weil wir uns vielfach eine ressourcenbezogene Aufmerksamkeit erst wieder erarbeiten und durch Übung Routine darin entwickeln müssen.

Die veränderten Einstellungen und Handlungsbereitschaften würden der Verschwendung und Zerstörung von Ressourcen durch Unkenntnis und Gedankenlosigkeit entgegenwirken. Zu meinen, hohe Preise alleine seien in der Lage, Menschen zur nötigen Umsicht und Rücksichtnahme im Umgang mit Ressourcen zu bewegen, erschiene mir blauäugig. Wenn Preise fortschreitende Verknappung spürbar signalisieren, ist es oft schon zu spät. Die betreffende Ressource ist bereits weitgehend erschöpft. Außerdem werden realitätsgerechte Preise, die die tatsächliche Knappheit widerspiegeln würden, massenhaft durch offene und noch viel mehr, versteckte Subventionen, verhindert. Die insgesamt derzeit noch viel zu niedrigen Flugpreise (nicht zu reden vom ‚Billigfliegen'), sind nur eines von vielen Beispielen. Sie bilden die immer bedrohlicher werdende Knappheit der Ressource ‚stabiles Weltklima' keineswegs angemessen ab.

Im übrigen haben in der gewaltigen Industrierevolution, die seit Jahrhunderten anhält und auch in ihren brutalen Erscheinungsformen längst noch nicht abgeschlossen ist (s. die aktuelle Industrialisierung in Russland, China und vielen anderen Ländern), Menschen die Zerstörung so wichtiger Ressourcen wie Sicherheit und Gesundheit massenhaft mit stagnierender und sinkender Lebensqualität und mit dem Leben bezahlt. Der Preis ist hoch, wird aber entrichtet, weil die Zusammenhänge nicht durchschaut werden, und weil emanzipatorischer Wandel in Richtung tatsächlicher Ökonomisierung der Prozesse durch reaktionäre Machtentfaltung verhindert wird.

Die Zahl der Menschen, die lehrend, ausbildend und führend tätig sind und in ihren Einstellungs- und Handlungsmustern ein waches und aufgeklärtes Ressourcenbewusstsein an den Tag legen, ist nach wie vor gering.



Auf einem Feld
Ökologie und Ökonomie bestellen nach diesem Verständnis das gleiche Feld, nämlich das Begreifen von und den nutzbringenden Umgang mit Knappheit. Dabei konzentriert sich die Wissenschaft Ökologie (Haushalt verstehen) auf Forschung, Begriffs- und Theoriebildung (incl. Modellentwicklung), Lehre etc., während Ökonomie (Haushalten) für den praktischen Umgang mit Knappheit verantwortlich ist. Selbstverständlich können und müssen zwischen beiden Sphären rege Wechselprozesse stattfinden, wie wir es in Form angewandter Wissenschaften längst praktizieren.

Nicht, dass die von mir beschriebenen Konstellationen von Erkennen und Handeln noch nicht vorkämen. Wir können eine Fülle praktischer Beispiele und Hoffnung machender Vorbilder finden (Bürger, Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, Unternehmer), die die Welt in diesem Sinne verstehen und gestalten. Als wirkungsvoller Aspekt im Denken von (Wirtschafts-) Wissenschaftlern und politisch-administrativen Eliten, vor allem aber als ein nicht mehr hintergehbarer Zustand von Aufklärung im öffentlichen Diskurs, ist diese Sicht jedoch noch nicht stark genug, um verdummender Werbung, Ignoranz, Geschwätz und absichtsvollem Nebelwerfen erfolgreich Paroli zu bieten. Ökologie als Wissenschaft vom Haushalten und Ökonomie als Praxis des Haushaltens würden andere Verbindungen von Begriffen, Fragestellungen und Handlungsalternativen erzeugen, als es gegenwärtig der Fall ist.

Nur was knapp ist, ist Gegenstand ökonomischen = ökologischen Denkens und Handelns

Wenn wir uns auf die historisch tatsächlich entstandenen Begriffsbedeutungen einlassen, so bezieht sich Ökonomie auf das Reich der Knappheit, die Wissenschaft davon und das Handeln in diesem Reich. Ökonomisch handelt nur, wer die Knappheit wichtiger Ressourcen nicht unnötig verschärft, besser mildert, noch besser: ihre Entlastung und Regeneration zum Gegenstand seines Handelns macht.

Im Zweifel hilft uns der Vergleich zwischen verschiedenen Prinzipien, Regeln, Verfahren, Verhaltensmustern, Methoden, Ressourcen und Produkten. Hier sehe ich einen sehr rationalen Aspekt von Transparenz und Wettbewerb. Sie können helfen, die besseren, im Sinne von effizienteren, Vorgehensweisen herauszufinden und einsatzfähig zu machen. Faustregel: Von mehreren Alternativen erweisen sich die ökologischeren (die mit der besseren Öko-Bilanz, dem leichteren Öko-Rucksack ) immer als die ökonomischeren, wenn a) möglichst alle Kosten erfasst werden, auch die so genannten externen, und wenn b) die langfristige Kostenentwicklung im Auge behalten wird. Ohne diese beiden Aspekte möchte ich die Begriffe ökonomisch und wirtschaftlich in keinem Kontext gelten lassen.

Die Unterscheidung zwischen betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Wirtschaftlichkeit halte ich für unwissenschaftlich. Sie ist ein Grund für die Verwirrung bei der Beschreibung, Analyse und Beurteilung wirtschaftlicher Probleme. Kostenvorteile von Betrieben, Firmen, Konzernen, selbst Staaten, Staatengemeinschaften und ganzen Weltregionen zeugen keineswegs von Wirtschaftlichkeit, sofern sie durch Transfer von Kosten auf andere Systeme zustande kommen. Viele Erfolge im Sinne von wettbewerbsfähiger, schlanker, gewinnträchtiger beruhen auf Verschiebungen von Kosten auf andere Systeme. Die Beispiele hierfür sind Legion. Um eines herauszugreifen: In den letzten Jahrzehnten hat es eine Fülle von schweren Havarien mit Öltankern gegeben, die durchweg auf zu geringe Sicherheitsstandards zurückzuführen waren. Man ist noch lange mit einwandigen Tankern gefahren als doppelwandige längst zur Verfügung standen und hat an der Besatzung gespart, indem man unzureichend ausgebildetes und überprüftes Personal fahren ließ. Diese Vorgehensweise hat auf betriebswirtschaftlichen Ebenen Geld gespart, war also scheinbar wirtschaftlich. Sobald das Risiko der Havarie aber eintrat, entstanden Kosten, die unvergleichlich viel höher lagen, als das, was durch Vernachlässigung der Sicherheitserfordernisse eingespart worden ist. Nur tragen diese Kosten andere.

Einsparen ist nicht per se ein Beleg für wirtschaftliches Handeln. In vielen Fällen führen ‚Einsparungen' zu weiteren Auszehrungen von Ressourcen, die sich über kurz oder lang als erhebliche zusätzliche Kosten bemerkbar machen. Ein zentrales Problem dabei ist, dass diese Kosten sich in ganz anderen Systemen stellen und auf ganz anderen Konten auflaufen können. Wo etwas eingespart wird (Geld, Personal, Energie, Material...) muss genau wie bei jeder anderen Aktion gefragt werden, welche Wirkungen dieser Vorgang auf weitere Ressourcen hat. Es könnten durchaus belastende sein. Genau hierin bestünde ein wichtiger Aufklärungsauftrag ökonomischer Wissenschaften, diese Zusammenhänge in allgemeinen Theorien aber auch sehr konkreten empirischen Untersuchungen aufzuhellen.

Prozesse ungenierter Vorteilsnahme haben wenig mit Ökonomie, umso mehr mit Politik zu tun. Wer (Kosten-)Vorteile erzielt, indem er anderen (Kosten-)Nachteile verschafft, handelt nicht ökonomisch, sondern politisch. In den meisten Fällen werden wir hinter solchen Vorgängen Machtgefälle entdecken.

Für ein aufklärendes statt verwirrendes Konzept von Ökonomie ist ein rationales Verständnis von Ressourcen von grundlegender Bedeutung.

Zentrale Ressourcen
Zeit, Raum, Materie, Energie; Qualitäten von Erde, Luft, Wasser, Landschaften und Besiedlungen; Leben, Gesundheit, Lebensqualität von Pflanzen, Tieren, Biotopen und Menschen; Intelligenz, Kreativität, individuelle und kollektive Erinnerung, Motivation, Mut, Moral, bestimmte Kenntnisse, Kompetenzen, Kommunikationsmuster und -prozesse, Einstellungen und Erfahrungen; Schönheit, Klugheit, Sinnhaftigkeit, Autonomie, Emanzipation; Frieden, Sicherheit, Demokratie, Legitimität, Kritik; Macht und Kontrolle von Macht, Recht, Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit...

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