Angst als Knüppel: Vereinfacher warnen vor Vereinfachern. An Schreibtischen klappern Scheren im Kopf – klipp-klapp. Und: willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich Dir mit historischen Verglei-chen, die hinken, den Schädel ein!
Was klingt, wie Mut-Wut, kann seinen wahren Namen nicht verbergen: Angst. Politi-ker, Bischöfe und Journalisten trauen sich zu, „dem Bürger“ die Angst zu nehmen und ihm etwas zu erklären, was sie selbst nicht verstehen. „Wir müssen die Sorgen der Bürger ernstnehmen“ – sagen sie, legen dem Bürger das Fieberthermometer auf die siedende Zunge und sagen: Allesgut... Allesgut... Allesgut... Was aussieht, wie Therapie am Patienten, erweist sich bei näherem Hinschauen als Selbsthypnose des Heilers: Allesgut... Allesgut... Der Puls des Heilers sinkt, während dem Patienten wei-ter das Wasser sonstwo kocht. Realsatire blüht aus vollen Rohren, wo dem kritischen Spötter längst das Lachen vergangen ist. Good bye Satire. Aber, es darf weiter ge-lacht werden, auch wenn es sich manchmal wie Schluchzen anhört.
Ein Satz aus Hölderlins Hymne ‚Patmos’ hat (wieder einmal) Konjunktur: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Wenn dieser Trostsatz aus aller Munde quillt und in allen Ohren schäumt, ist eines gewiss: dass der Kackao gewaltig am Dampfen ist! Wir greifen nach Strohhalmen, am liebsten so groß wie Baumstämme. Trost? Womöglich fröstelt uns der Hölderlin-Satz, weil er auch als Angstsatz gelesen wer-den kann: „Wo aber Gefahr ist - wächst das Rettende auch?“ Auffällt, dass der Satz unmittelbar davor, immer unter den Tisch fällt: „Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Heißt es bei Hölderlin. Oioioio-ioi! Das war knapp. Manch braver Christ, Jude, Muslim, Heide oder Atheist könnte noch glauben, Gott sei die Gefahr, gegen die das Rettende wächst...
Gerne möchte ich Hölderlin als Hoffnungsdichter lesen. Aber, wir müssen die Gren-zen auch hoher Poesie erkennen. Ich glaube nicht, dass der Satz auf der Trauerfeier für die Opfer des Bahnunglücks in Bad Aibling hätte gesprochen werden können. Mir fallen tausende menschen- und göttergemachte Tragödien ein, angesichts derer der Satz zynisch klingen würde. Aber, wo noch Handlungsmöglichkeiten zu bestehen scheinen, kann uns Hölderlin aufrichten. Vorausgesetzt, wir finden den Mut, den Realitäten ins Auge zu schauen, statt unsere Ängste einander um die Ohren zu hauen.
WOCHENBLATT Mannheim 25.02.2016