was das ist: Europa. Und wo es wohnt.
Krisen sind keine Katastrophen. Sie entfalten sich als Spannungen zwischen Risiken und Chancen. Die Menschen-Welt befindet sich im Krisenmodus von Anfang an. Ohne Krise keine Entwicklung. Aber: wo wir Gefahren verdrängen und gute Möglichkeiten nicht nutzen, können sie in Katastrophen umschlagen, wie so oft in der Geschichte. Bei krisenhaften Entwicklungen machen wir uns Sorgen und streiten miteinander – hoffentlich mutig, demokratisch, ehrlich und gut informiert - ohne einander auszugrenzen. Wir können uns noch vorstellen, wie es weitergeht. Aus Erinnerung, Analyse und Vision gestalten wir Neues. Katastrophen dagegen führen zu etwas, das wir nicht kennen und nicht verstehen. Unsere Erfahrungen können sich als nutzlos erweisen. Davor fürchten wir uns zu Recht.
Europa ist in der Krise. Es wird scheitern, wenn wir Europäer nicht begreifen, dass Europa eine - wenn auch hochkomplexe und differenzierte - Nation ist. Nation, unterwegs wie alle Nationen. Nation ist, indem sie wird. Sie muss von uns Europäern jeden Tag zu dem entwickelt werden, was sie in ihren Anlagen längst ist. „Nationenbildung (engl. nation building) ist ein Prozess sozio-politischer Entwicklung, der aus locker oder auch strittig verbundenen Gemeinschaften eine gemeinsame Gesellschaft mit einem ihr entsprechenden Staat werden lässt.“ (wikipedia) Unser altes Europa geht (humbld, dibbld, schlurft) noch am Anfang des Wegs zur Nation.
Ich bin Weltbürger, weil alles, was ich körperlich und geistig aufnehme und von mir gebe, sich aus der Welt speist und in die Welt geht. Dessen ungeachtet bin ich auch Europäer, Deutscher, Baden-Württemberger, Kurpfälzer, Mannheimer. Weil meine Identität und die Kultur, in der ich lebe, Erfahrungen, Themen, Tiefen, Reichweiten, Verdichtungen, Konzepte und Dynamiken umfasst, die durch die Tatsache, Kind der Einen Welt zu sein, nicht ausreichend bestimmt werden. Die vielschichtigen Aspekte individueller Persönlichkeit und gemeinschaftlicher Kultur schließen einander nicht aus - sie erfüllen sich ineinander. Deutschland oder Europa? Deutschland und Europa! Region oder Nation? Region und Nation! So können wir der Welt begegnen, die wir brauchen. Und die uns braucht – als die, die wir sind. Deutsche. Europäer.
WOCHENBLATT Mannheim
19. Oktober 2017