stark statt mächtig

Geschrieben von Prof. Dr. Hans-Peter Schwöbel
 
Worin besteht der Sinn des Lebens?
Es gibt ihn wohl nicht als objektive Bestimmung. Die Evolution und/oder Gott haben uns dazu verdammt und befreit, den Sinn unseres Lebens selbst zu finden. Glaube, Wissenschaft, Philosophie, Kunst, Politik, die spielerische Eroberung der Welt und unsere alltägliche Lebensbewältigung, einschließlich Arbeit, Freunde, Familie, Liebe und vieles mehr, bieten Chancen, den Sinn unseres Lebens praktisch umzusetzen und auszugestalten – sofern wir ihn gefunden haben.

Die Entscheidung, wofür wir uns einsetzen, kann uns niemand abnehmen. Aber wir können einander mit Rat und Tat, mit Kritik und Ermutigung zur Seite stehen. Mein Rat: Suchen wir den Sinn unseres Lebens im Wachstum und in der Entwicklung unserer Persönlichkeit. Vergewissern wir uns unserer Begabungen und trachten wir danach, sie zu entfalten und in die kleinen und großen Gemeinschaften einzubringen, in denen wir leben. Dies ist die wahre Bedeutung des Begriffes Selbstverwirklichung.

 
Achtung und Autonomie
Der Schweizer Psychologe Jean Piaget (1896 – 1980) hat schon vor Jahrzehnten die moralische Entwicklung von Erwachsenen und Kindern untersucht und fand:
 
1. Das moralische Fundament eines Menschen ist mit sechs Jahren bereits weitgehend gelegt. Kinder in diesem Alter können Gut und Böse recht sicher unterscheiden und ihr Verhalten danach richten.
 
2. Moralisches Zentrum ist die Achtung im Sinne von Respektieren, Wertschätzen, Beachten, achtsam mit Menschen, Worten und Dingen umgehen. Qualität und Stärke aller anderen Tugenden, sowie des psychischen Gesamtkonzeptes eines Menschen, mithin die Stärke seiner Persönlichkeit, hängen unmittelbar von dieser Kernkompetenz ab.
 
Versuchen wir stark zu werden, statt mächtig. Stärke ist eine Persönlichkeitsqualität, Macht eher eine Eigenschaft von Positionen, Strukturen und Systemen. Viele streben nach Macht als Ersatz für die Entwicklung persönlicher Stärke. Gesellschaft braucht Macht, um Entscheidungen treffen und Probleme lösen zu können. Von Macht geht aber immer Gefahr aus, wenn sie durch schwache Persönlichkeiten ausgeübt und nicht durch Achtung zivilisiert wird.
 
Achtung, nicht Rücksichtslosigkeit zeichnet starke Persönlichkeiten aus. Sie verfügen über hohe geistige und seelische Eigenständigkeit im Fühlen, Denken, Wahrnehmen, Urteilen, Entscheiden und Handeln. Diese Autonomie bedeutet nicht, anderen auf der Nase herumzutanzen. Sie ist eine Sozialkompetenz, wie Ihre Schwester, die Verantwortungsbereitschaft. Selbstbewusste Persönlichkeiten haben keine Angst vor der Autonomie Anderer. Sie wissen, ihre eigene Autonomie und die ihrer Mitmenschen stützen einander, wie auch Abhängigkeiten und Gefangenschaften sich gegenseitig verstärken. Autonomie zu Lasten Dritter gibt es nicht. Sie wird parasitär, fühlt sich vielleicht an wie Freiheit, ist aber Privileg. Das bedeutet verstärkte Abhängigkeit.
 
Wesentlicher Aspekt von Persönlichkeitsstärke ist die Art und Weise mit eigenen Fehlern umzugehen: Sie nicht zu verharmlosen, zu verdrängen oder Anderen in die Schuhe zu schieben, sondern zu ihnen zu stehen - ohne dabei im Bemühen nachzulassen, sie zu überwinden.
 
Achtung und Würde
Zentrum demokratischer Kultur ist nicht ein bestimmtes Entscheidungsverfahren, sondern die Würde des Menschen und der Natur. Selbst unbelebten Dingen ist Würde zu eigen, die verletzt werden kann, insofern sie immer auch Ausdruck unserer Beziehung zur Welt und zueinander sind. Wichtigster Schutz für die Würde ist die Achtung. Wo sie fehlt, können auch Gesetze und Mehrheitsentscheidungen wenig ausrichten. Macht kann Segen nur stiften im Kräftespiel zwischen Macht, Kritik an ihr und Widerstand gegen sie, sowie der wechselseitigen Achtung der gesellschaftlichen Akteure. Wo Macht sich aus diesen Bindungen löst, wird sie eine gefährliche Schwäche und verursacht hohe gesellschaftliche und ökonomische Kosten.
 
Bei der Beurteilung von Politik, Wissenschaft, Pädagogik, Wirtschaft, Kunst und Alltagsbeziehungen kommt dem Spannungsfeld Stärke-Achtung-Macht Schlüsselbedeutung zu. Die Auseinandersetzungen um ‚Doktorarbeiten', die auf massiven Urheberrechtsverletzungen beruhen, bieten Anschauung für diesen Konflikt. Verantwortungsbewusste, starke Politik stellt sich ohne Zögern auf die Seite der Stärken dieses Landes. Die Stärken in diesem Feld sind unsere Wissenschaftskompetenz/-ethik und der Rechtsstaat. Demgegenüber hat die Verteidigung von Machtpositionen zurückzustehen. Der Versuch, Macht zu Lasten offenkundiger Stärken durchzusetzen, kann daher auch nicht anders als mit Respektlosigkeiten unternommen werden. Macht wird leicht unverschämt, wenn sie an ihre Grenzen stößt.
 
Geistig-kulturelle Stärke ist das individuelle und gesellschaftliche Fundament, Macht darf nur Instrument sein. Religion, Politik, Ökonomie, Wissenschaft, Pädagogik und Kunst legitimieren sich als Beitrag zum Aufrechten Gang. Leitbild: die starke Persönlichkeit – viele starke Persönlichkeiten. Sie bieten Schutz gegen Gefahren der Tyrannei, ob sie uns drohen im Dröhnen von Marschtritt und Gewalt oder als Verwahrlosungsprozesse der Wohlstandgesellschaft.
Gekürzt publiziert in:
 
Naturarzt
09/2011
S. 54
Prof. Dr. phil. Hans-Peter Schwöbel
Besser stark als mächtig
ISSN-0720826-X

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