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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Unwissen ist Macht
Zur in Der Schwöbel-Blog am Samstag vom 30. März und 06. April 2024 entwickelten Kritik, passt, was wir im Gespräch des Chefreporters Wissenschaft Axel Bojanowski mit dem Energieforscher Prof. Dr. André Thess Universität Stuttgart) in DIE WELT, Di, 02. April 2024 lesen. Thess kommt nicht umhin, für die Energiepolitik (und damit auch die Klimapolitik) in Deutschland eine vernichtende Bilanz zu ziehen.
„WELT: Woran messen Sie den (energiepolitischen) Fortschritt?
Thess: Das erste Kriterium wäre die Frage, ob Energie preiswerter geworden ist. Die Antwort lautet leider: nein. Die Industrie verlagert mittlerweile Produktion ins Ausland, und Strompreise für Privathaushalte sind weltspitze. Das zweite Kriterium wäre die Frage, ob Energie CO₂-arm ist. Die Antwort lautet ebenfalls leider: nein. Unser Nachbarland Frankreich emittiert pro Person nur fünf Tonnen CO₂ pro Jahr, während es bei uns fast doppelt so viel sind. Das dritte Kriterium wäre die Frage, ob die Energieversorgung sicherer geworden ist, und auch diese Antwort lautet leider: nein. Wenn wir nach 20 Jahren Energiewende und nach mehreren Hundert Milliarden Euro Subventionen keine internationale Wettbewerbsfähigkeit bei diesen drei Kriterien sehen, dann kann ich dieses Projekt beim besten Willen nicht als Erfolg bezeichnen.
WELT: Stromausfälle haben aber nicht zugenommen, warum also kritisieren Sie die Netzstabilität?
Thess: Die lässt sich anhand der Kosten und der Zahl der Regeleingriffe ins Netz bewerten – beide sind teurer und häufiger geworden. Der Aufwand ist erheblich gestiegen, um das Stromsystem stabil zu halten. Und wenn in Baden-Württemberg neuerdings eine App anzeigt, wann man Stromverbrauch mindern sollte, ist das leider auch kein Zeichen für Versorgungssicherheit.
WELT: Die Verfechter der Energiewende sagen, es wäre nur zu langsam gegangen, das Erneuerbare-Energienetz müsste schneller gebaut werden.
Thess: Als das Unwort des Jahres 2024 schlage ich „Energiewende 2.0“ vor. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Vorstellung, man könnte zum Erfolg kommen, indem der Staat noch mehr subventioniert und regelt. Das ist nach meiner Meinung ein Irrglaube. Für erfolgreichen Klimaschutz brauchen wir nicht mehr, sondern weniger Staat.
WELT: Warum kommen eigentlich Energieforscher in der öffentlichen Debatte kaum vor?
Thess: Optimistische Szenarien reichweitenstarker Ökonomen passen anscheinend besser ins Weltbild. Die Politik nimmt ihre Informationen gern aus staatsgeförderten Denkfabriken und zu wenig aus unabhängiger Forschung. Das gerade wäre aber notwendig für eine sachliche Diskussion.
WELT: Der Atomausstieg als zentraler Schritt der deutschen Energiewende wurde aber von Experten durchgewunken, hieß es aus der Regierung.
Thess: In der betreffenden Ethik-Kommission 2011 saßen weder Kraftwerks- noch Energieexperten. Die Mitglieder waren handverlesen, ihre Kernkraft-Skepsis war bekannt. Ich habe vor zwei Jahren mit 20 anderen Professoren in der ‚Stuttgarter Erklärung“‘ den Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke gefordert. Niemand von uns wurde je in eine Talkshow eingeladen.“
Hierzu mein Kommentar
Der letzte Satz von André Thess in diesem Gespräch könnte sich wie die Klage eines zu kurz Gekommenen lesen. Tatsächlich handelt es sich aber um einen Offenbarungseid, nicht von Herrn Thess und seinen Mitstreitern, sondern eines des politisch-medialen Komplexes.
Wer bisher medienkritisch geglaubt hat, dass Main-Stream-Medien sich in der Auswahl ihrer Berichterstattung, Kommentare und Gesprächsforen (z.B. Talkshows) an möglichst hohen Lese- und Zuschaltquoten orientieren, wird eines noch Schlechteren belehrt. Wenn es der Stabilisierung des politisch-medialen Machtkonvois dient, verzichten Main-Stream-Medien konsequent auf Aufmerksamkeit, Einschaltquoten und die Hinzuziehung unabhängiger wissenschaftlicher Kompetenz. Lieber weniger Zuschauer, aber auf der richtigen, das heißt, der dunklen Seite der Macht. Die ÖRR können sich das leisten, werden sie doch mit den Zwangsgebühren jener finanziert, zu deren Vormund sie sich erheben.
Seit Jahren werden Machtdynamiken entwickelt, die sowohl klassischen demokratischen Willensbildungsprozessen als auch unabhängiger Wissenschaft misstrauen, ja sie offen verachten. Vor diesen Entwicklungen kann man nicht entschieden genug warnen. Die miserablen Ergebnisse jahrelanger Corona-, Klima- und Energiepolitiken sprechen Bände. Dasselbe gilt für die machtvolle, aber kopflose Ein- und Auswanderungspolitik.
Wenn ich sage „Unwissen ist Macht“, so gilt dies in beiden Richtungen. Das magere Wissen der Mächtigen braucht die Einfalt der Unmächtigen. Viele Medien sehen ihre Aufgabe darin, diesen beschämenden Tanz zu choreografieren: Wir werden Euch führen, wohin Ihr uns wollt!
Wir, das Volk...
Ich bleibe dabei: Krisen können ohne blühende Demokratie, verlässlichen Rechtsstaat und der Aufklärung verpflichtete, freie Wissenschaft nicht dauerhaft und menschenwürdig bewältigt werden. Die wichtigste Ressource zur Bewältigung von Problemen heißt LERNEN. Viel Lernen geschieht besonders, wenn möglichst viele Menschen möglichst viel lernen. Der eingebildete Wissensvorsprung kleiner Eliten kann die Klugheit eines lernenden und sich selbst aufklärenden Volkes niemals ersetzen. „We The People...“
Informations-, Denk- und Meinungsfreiheit sind unverzichtbare Grundlagen für Demokratie, Rechtsstaat, Wissenschaft und Kunst. Ebenso ein allgemein hoher Bildungsstand, sowie starke emanzipatorische Persönlichkeitsentwicklung. Wer Menschen einschüchtert oder an der Nase herumführt, verhindert Lernen und Problemlösungen. Er vertieft die großen Krisen.
Wird fortgesetzt.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 13. April 2024