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Gemälde: Waltraud Gossel
Informationelle Selbstbestimmung
Hans-Peter Schwöbel
Seit Jahrzehnten betreibe ich einen sehr hohen Informationsaufwand. Das ist Teil meines Berufes, für den ich keinen Ruhestand kenne. Solange mein Kopf arbeitet, lasse ich nicht locker.
Ich habe DIE WELT und DIE WELT AM SONNTAG als Druckausgabe und digital abonniert. Nicht alles ist gut in diesen Zeitungen. Aber sie haben einige hervorragende Autoren, wie Harald Martenstein, Ulf Poschardt, Jacques Schuster, Henrik M. Broder. Nicht zu vergessen die „Chefreporterin Freiheit“ Anna Schneider. Und hin und wieder internationale Autoren, wie die amerikanische Journalistin Bari Weiss oder die Somalin Ayaan Hirsi Ali.
Die Essays dieser hochkarätigen Autoren kann ich uneingeschränkt empfehlen. In den Main-Stream-Medien, besonders den Öffentlich Rechtlichen (ÖRR) kommen sie kaum vor, aber im Internet können sie und ihre Publikationen leicht gefunden werden.
„Uneingeschränkt empfehlen“, heißt natürlich nicht, dass ich mit jedem Satz und jedem Gedanken dieser Denker einverstanden bin. Keiner, der nach Kant, sich seines eigenen Verstandes bedient, kann und muss mit jedem Gedanken eines Anderen einverstanden sein, der sich wiederum seines eigenen Verstandes bedient. Durchgehend hohe Qualität genügt vollkommen, um sich auf andere Geister einzulassen und von ihnen zu lernen.
Immanuel Kant: „Geschmack ist das Vermögen, Qualität zu beurteilen.“
Geschmack ist also nicht einfach ein nicht weiter hinterfragbarer subjektiver Impuls. Vielmehr kann er entwickelt und geschult werden. Sonst wären Wissenschaft, Kunst, Küche, Handwerk, Alltagsbrauchtum und vieles mehr gar nicht möglich. Wichtigste Ressource ist dabei immer wieder der kritische Vergleich. Und der kann geübt werden. Er ist sowohl Grundlage wissenschaftlicher als auch demokratischer Debatten. Es ist kein Zufall, dass die Europäische Aufklärung sowohl die Entwicklung moderner Wissenschaften ausgelöst und beflügelt hat, als auch die entsprechenden Demokratisierungsprozesse.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) haben ich digital abonniert. Die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT als Druckausgabe. Nicht zu vergessen TICHYS EINBLICK und das Internetradio KONTRAFUNK.
Man mag sagen, soviel Aufwand kann sich nur ein Pensionär leisten. Was mich angeht, trifft dieser Einwand nicht zu. Ich habe auch zu Zeiten voller Berufstätigkeit mit 60-Stunden-Woche ca. 4 Stunden täglich gelesen – über Jahrzehnte. Dazu unzählige Gespräche geführt mit vielen Menschen, besonders mit der anderen Hälfte meines Gehirns, Susanna Martinez.
Außerdem ist Informationsökonomie nicht nur eine Frage der Zeit, sondern mindestens so sehr eine der Auswahl und Schwerpunktsetzung. Wer mal die Nebelbänke der ÖRR durchdrungen hat, sehnt sich nach sachlich anspruchsvollen und gleichermaßen aufklärerisch-emanzipatorischen Medien; denn auch der klügste Kopf kann keine klaren Gedanken fassen, wenn ihm nur vernebelnde Informationen zur Verfügung stehen. Seine Medien selbst auswählen, ist der erste Schritt zur informationellen Selbstbestimmung und gegen betreutes Denken.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 06. Juli 2024