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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Simsalabims. Simsalawumms.
Hans-Peter Schwöbel
Wer kennt es nicht, das allegorisch-metaphysische Geschehen: eine fette Stubenfliege oder eine noch fettere grüne Schmeißfliege sucht an einer Fensterscheibe in trotzigen Wiederholungen den Weg auf die andere Seite der Scheibe. Anflug: Sssswumms. Anflug: Sssswumms. Und Anflug: Ssssdoppelwumms.
Zweihandbreit neben der Wummserin steht die Balkontür sperrangelweit offen. Doch diesen Weg verschmäht sie, weil sie genau weiß, dass sie Recht hat.
Diese Verhaltensmuster meint WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt wohl mit seinem Essay:
„Sie kapieren es einfach nicht
Der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit steht am Anfang der Aufklärung. Immanuel Kant … ahnte schon vor knapp 250 Jahren, dass dies weniger von der autoritären Obrigkeit torpediert wird, sondern vielmehr von der eigenen Bequemlichkeit.
Diese richtige Beobachtung … scheint heute insbesondere die Intellektuellen und Sinnstifter, die Kulturschaffenden und die Vordenker der Politik zu treffen, die nach den für sie schockierenden Wahlen in Thüringen und Sachsen auf breiter Front scheitern.
Die Lernkurve im Elfenbeinturm bleibt flach. Das hat mehrere Gründe, die allesamt beschämend sind. Der erste Grund ist die Bequemlichkeit, aus der im Zweifel steuer- oder GEZ-finanzierten Position von oben herab auf das Schauspiel des vulgären Alltags vermeintlich unaufgeklärter Ureinwohner der Oberlausitz oder des Vogtlandes zu blicken.
Mit dem Blick, mit dem Vokabular des Ethnologen gab man in Romanen, Studien, Reportagen und Podcasts zu verstehen, dass DIE nicht so sind wie WIR – und nun wundert man sich, dass DIE keine Lust mehr haben, von diesem „WIR“ voller Verachtung belehrt und gemaßregelt zu werden.
Diese bequeme Verteilung und Verteidigung der Rollen ist beendet: Es ist wie eine rechte Reprise der Studentenrevolte: Die Belehrten begehren gegen die Oberlehrer auf. Und die können damit genauso wenig umgehen wie damals die bürgerlichen Akademiker mit den linksradikalen Studenten.
Der zweite Grund ist die intellektuelle Dünnbrettbohrerei, die im Elfenbeinturm Standard geworden ist. Die deutschen Intellektuellen haben in ihrer Breite eine einzigartige Mischung aus regierungsnaher Prosa, abgeschmacktem politischem Feuilleton und einem Buzzword-Bingo zu ihrem Markenkern erklärt.
Sie sind überfordert mit den Abrissen ihrer moralischen Welterklärung und mit den fundamentalen Diskursverschiebungen, die durch aktuelle Wahlen und Umfragen abgebildet werden. Sowohl der kitschige Multikulturalismus wie der weiterhin grassierende Antikapitalismus sowie das passiv-aggressive Umverteilungsnarrativ erreichen nur noch die eigenen Milieus …
Der dritte Grund dürfte die komplette Verstricktheit zwischen vermeintlich „progressiver“ Politik und den eigentlich kritischen Medien und Intellektuellen sein. Über die unrühmliche Rolle weiter Teile des Journalismus, insbesondere des öffentlich-rechtlichen, wurde an dieser Stelle schon oft gesprochen. Ähnliches gilt für einen Kulturbetrieb, der längst zu einem gedanklich verwahrlosten Bettler staatlicher Subventionen geworden ist.“
(Chefredakteur Ulf Poschardt. DIE WELT online, 03.09.2024)
Ich kann Ulf Poschardt nur zustimmen, gerade auch bei seinem letzten Punkt: Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Zivilcourage sind pathetische Parolen auf der Bühne. „Haltung“ als Nachgeplappere, das die heischende Hand doch nicht verbergen kann.
Und weiter Porschardt:
„Und genauso klingt die aktuell litaneiartig vorgetragene Kritik an den „undemokratischen“ Wahlergebnissen, weil diese die eigenen Pfründe und Perspektiven ins Risiko stellen. Wenn im Deutschlandfunk, dem gerechtesten der Gerechten im Selbstverständnis, Theatermacher und Intendanten die Wahlergebnisse bedauern, so fehlt jene Einsicht, dass das elitär-linke Gegenwartsverständnis von Kultur nicht mehrheitsfähig ist. Dass die Verachtung der nicht-veganen, heterosexuellen, dieselfahrenden Allerweltsnachbarn so lange ausgelebt wird, bis diese den Stecker ziehen.
Am Schockierendsten jedoch ist, wie jetzt innerhalb der repräsentativen Demokratie eine gewissermaßen erste moralische Ableitung der Entscheidung des Souveräns eingeführt werden soll. Nicht mehr die politische Partizipation ist das Kriterium für gelingende Demokratie (etwa bei der Wahlbeteiligung, die nämlich in Sachsen wie Thüringen vergleichsweise hoch war), sondern das Ergebnis.
Wir lernen: Es gibt demokratische Stimmen und undemokratische Stimmen. Demokratische Parteien und undemokratische Parteien. Dass da unter Kommentatoren und Intellektuellen nicht der Orwell-Alarm losschlägt, verdeutlicht, wie desensibilisiert und autistisch es geworden ist im Elfenbeinturm. Wahlen sind auch Kommunikationsextreme: Das Wahlvolk, der SOUVERÄN, gibt den Mächtigen, genauer den vom Wahlvolk ermächtigten Politikern eine Rückmeldung über deren Arbeit. Ganz knapp: Daumen rauf oder Daumen runter…“
Diese erbauliche Debatte wird uns noch lange begleiten. Mischen wir uns ein!
Der Schwöbel-Blog am Samstag, 07. September 2024