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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Demütigen 1
Hans-Peter Schwöbel
Womit kann man einzelne Menschen, Gruppen von Menschen und ganze Kulturen am sichersten zerstören?
Indem man sie demütigt.
Nach Folter und physischer Vernichtung ist die Demütigung die schlimmste Verletzung der Würde des Menschen. Folter, Vernichtung und Demütigung kommen oft zusammen daher.
In der Schoah wurden Millionen Juden nicht einfach getötet. Sie wurden zu Tode gedemütigt. Wie Israel und weit über tausend zu Tode gedemütigte und als Geisel genommene Menschen am 07. Oktober 2023. Die Schoa und der 07. Oktober haben gemeinsam: Sie sind Orgien der Demütigung.
Im sowjetischen Archipel GULAG wurden Millionen Menschen zu Tode gedemütigt. In den Demütigungs-Tsunamis anlässlich der verschiedenen „Kulturrevolutionen“ Mao Zedongs ebenso.
Nach dem Kriege sind 14 Millionen Deutsche aus ihrer Heimat im Osten hinaus gedemütigt worden. Ihr Leid nicht anzuerkennen, ist für diese Menschen eine weitere Demütigung. Und für das deutsche Volk.
Die Liste exemplarischer Demütigungen könnten lange fortgesetzt werden. Sie unterscheiden sich und wiegen verschieden schwer. Gemeinsam haben sie, „die Anderen“ klein zu machen, in den Staub zu werfen. Das englische Wort „othering“ beschreibt den Vorgang gut. Das entsprechende deutsche Wort „(ver-)anderern“ gibt es nicht. Niemand hindert uns daran, es zu erfinden. Es sei hiermit getan: veranderern. „Der Andere“ ist nicht nur der Andere. Er wird so abscheulich entstellt, dass er sich selbst nicht wiedererkennt.
Wie so oft: Die mit spitzen Fingern die Anderen des othering, des Verandererns beschuldigen, treiben es am Schlimmsten. „Ich gut - Du Nazi…“ bringt dieses Muster auf den Punkt.
Demokraten, Kinder und Künder der Aufklärung und der jüdisch-christlichen Kultur müssen Demütigungen entgegentreten. Für mich heißt dies zunächst, die Motive der Demütiger herauszuarbeiten. Ich versuche zu verstehen, warum sie tun, was sie tun; denn sie wähnen sich undurchschaut. Dem kann abgeholfen werden.
Anerkennung – nicht Wahrheit
Des Menschen stärkstes Streben gilt nicht der Wahrheit, sondern der Anerkennung. Menschen suchen Anerkennung, Liebe, Bewunderung. Daran ist zunächst nichts Beschämendes. Der Mensch ist so. Allerdings weisen diese Bedürfnisse starke Ambivalenzen auf – wie alles Menschliche. Im Streben nach Anerkennung und Vermeidung von Ächtung haben Menschen ihre größten Leistungen und Wunder vollbracht. Und ihre schlimmsten Verbrechen. Es gibt wenig, wovor Menschen sich so sehr fürchten, wie vor sozialer Ächtung.
Das Thema wird nächste Woche fortgesetzt.
„Der neue deutsche Faschismus hört auf den Namen Antifa.“
Henryk M. Broder, Cato 5/2024
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 29.03.2025