Der Schwöbel-BLOG am Samstag

Danke, Leon de Winter!

 

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Danke, Leon de Winter!                                                          

Hans-Peter Schwöbel

Hin und wieder werde ich von einem Stück hoher Literatur so ermutigt und erquickt, dass ich mich entschließe, diesen Text in voller Länge in meinem Der Schwöbel-Blog am Samstag wiederzugeben. Wie diesen Essay von Leon de Winter. Eigentlich ist er zu lang für einen Blog und schon gar für einen Podcast. Aber sehr hohe Qualität rechtfertigt jede Ausnahme. Ich empfehle Ihnen dieses prosaische Poem aus vollem Herzen.

„Bin ich jetzt gesichert rechtsextrem?

Von Leon de Winter

DIE WELT, Stand: 05.05.2025  

Es tut mir leid, dass ich in meiner ersten WELT-Kolumne Kritik an Dir übe, oh wunderbares Deutschland. Ich hatte mir vorgenommen, liebevoll an die ersten Deutschstunden auf dem Gymnasium zu erinnern, fast verloren zwischen Latein und Griechisch. Irgendwo tief in meiner DNA lebt die Liebe zu deutschen Wörtern und zur deutschen Syntax. Ich war einmal zu Gast in einer niederländischen Fernsehsendung, in der die Wurzeln der Familien meiner jüdischen Eltern aufgedeckt wurden, aber weiter als bis zum Jahr 1800 kamen die Forscher nicht. Doch alles deutete auf Deutschland hin.

Ich bin also genetisch belastet mit der Liebe zu Deiner Sprache, Deutschland. Und zu Deiner Literatur und klassischen Kunst, zu Deinen Denkern und vor allem zu Deinen Komponisten. Wenn je Aliens auf der Erde landen und zu Recht beschließen, diesen grausamen nackten Affen ein Ende zu setzen, dann gibt es eines, das sie davon abhält: die Kompositionen von Johann Sebastian Bach. Denn eine Spezies, aus der ein Bach hervorgehen kann, ist nicht völlig teuflisch.

In meiner ersten Kolumne wollte ich Dich aufrufen, Deutschland, stolz und selbstbewusst auf Deine klassische Geschichte zu sein, ohne die pechschwarzen Seiten des 20. Jahrhunderts zu vergessen. Ich habe einmal in einem Artikel geschrieben, dass ich lieber unter der europäischen Hegemonie Deutschlands leben würde als unter der von Brüssel – und das finde ich immer noch. Deutschland ist die kulturelle, wirtschaftliche und industrielle Seele Europas – also verhalte Dich entsprechend, würde ich sagen.

Lass Deine Fahnen wehen, unterstütze überall in Europa die Verbreitung Deiner Sprache. Denn eine authentische Sprache der Europäischen Union gibt es nicht. Latein hätte das sein müssen, aber Deutsch als die Lingua franca der EU wäre auch gut gewesen. Ich fürchte nur, dass viele EU-Länder das nicht unterstützen werden, obwohl es der EU mehr Charakter verleihen würde als die seelenlose Beamtensprache in Englisch, die Brüssel jetzt verpestet.

Ein neuer Reichstagsbrand?

Ich übe also in meiner ersten Kolumne Kritik. Ich las, dass die schreckliche Partei Alternative für Deutschland verdächtigt wird, an den Wurzeln der Demokratie zu nagen. Also wartete ich auf Berichte über geplante Deportationen, modernere Methoden des Massenmords als Giftgas und Kugeln, einen neuen Reichstagsbrand, die Eroberung von Lebensraum in der Ukraine und in Russland.

Aber was ich fand, war dies: „Verfehlte Migrationspolitik und Asylmissbrauch haben zum 100.000-fachen Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen geführt.“ So lautete nach Verfassungsschutz-Angaben ein Tweet eines AfD-Mitarbeiters im Deutschen Bundestag. Er hat den Tweet mittlerweile gelöscht. Ist diese Aussage wirklich so schockierend, dass das ganze deutsche politische Establishment jetzt über ein Verbot diskutiert?

Es fällt mir nicht leicht, aber ich muss etwas gestehen: Auch ich bin überzeugt, dass die Migrationspolitik gescheitert ist, auch ich sehe, dass zu viele Migranten in Europa aus rückständigen Kulturen kommen, in denen Frauen Männern untergeordnet sind und Juden gehasst werden. Bin ich jetzt gesichert rechtsextrem?

Als Angela Merkel es als ihre Lebensaufgabe betrachtete, junge Männer aus Nordafrika und dem Nahen Osten nach Deutschland zu holen, sah ich erstaunt all die Deutschen, die „Willkommen, schöne liebe Jungs!“ sangen. Ich dachte: „Willkommen, Antisemiten.“ Ich fühlte mich allein, als mir Wellen des Hasses entgegenschlugen. Ich war ein Rassist, ein Islamophober, und ich beging das ultimative Verbrechen, unsere westliche Kultur für überlegen zu halten.

Man sollte versuchen, das Zitat umzudrehen: „Gelungene Migrationspolitik und perfekt angewandte Asylverfahren haben zum 100.000-fachen Import von Menschen aus hochentwickelten und frauenfreundlichen Kulturen geführt.“

Warum bist Du so unsicher, Deutschland? Warum kannst Du, achtzig Jahre nach dem Ende der Zeit Deiner schrecklichsten Verbrechen – für die Du gebüßt hast, über die Du Rechenschaft abgelegt hast – nicht den Platz einnehmen, der Deinem Sinn für Ästhetik, Deiner wissenschaftlichen und industriellen Kreativität zusteht?

Vielleicht haben deutsche Sicherheitsdienste entdeckt, dass AfD-Mitglieder zu Hause SS-Uniformen tragen und das Horst-Wessel-Lied singen – das würde natürlich alles verändern. Aber die Aussagen von AfD-Spitzenleuten, die ich online finden konnte, waren nach meinen niederländischen Maßstäben eher ziemlich harmlos.

Die Hysterie über jene Aussagen von AfD-Mitgliedern schießt weit über das Ziel hinaus. Ich denke, dass viele Deutsche – und ich auch – vielen Aussagen zustimmen. Was ist daran falsch? Warum darf man nicht stolz sein auf die deutsche Kultur? Warum darf man nicht sagen, dass das Dazugehören zur deutschen Nation mehr als nur ein Pass ist? Warum darf man nicht sagen, dass viele Migranten rückständige, überholte Ansichten über Religion, Frauen, Freiheit und Demokratie haben?

Deutschland, wenn Du so weitermachst mit dem Herabwürdigen Deiner eigenen Kultur, mit dem Ausweichen vor der dringenden Frage, wie Du mehr Kinder hervorbringst, die mit Liebe deutsch sein wollen und die deutsche Kultur weitertragen möchten, dann wird in hundert Jahren niemand mehr Kafka oder Grass oder Goethe lesen. Dann wird in den Kirchen von Dresden und Leipzig nie mehr Bachs Matthäuspassion oder sein Largo aus dem Doppelkonzert d-moll erklingen, das das Universum für immer hätte erhellen sollen. Und noch schlimmer: Dann hat Deutschland Selbstmord begangen. Es gibt Deutsche, die sagen: Das ist unser Schicksal wegen unserer Vergangenheit. Ich bestreite das. Ohne ein selbstbewusstes Deutschland ist nicht nur Deutschland, sondern auch Europa verloren.

Das ist also meine Kritik: Hör auf mit dem Gejammer und sei selbstbewusst und stolz, oh Deutschland.

Leon de Winter, 1954 in ’s-Hertogenbosch im Süden der Niederlande als Sohn orthodoxer Juden geboren, wurde Anfang der 1990er-Jahre mit Romanen wie „Hoffmanns Hunger“ und „SuperTex“ bekannt. De Winter zählt zu den wichtigsten und streitbarsten niederländischen Schriftstellern der Gegenwart. Er wird künftig wöchentlich eine WELT-Kolumne schreiben.“

Soweit Leon de Winter. Jedem Satz seines Essays kann ich zustimmen. In vielen meiner Publikationen habe ich Vergleichbares geschrieben. Aber als deutscher Arbeiter im deutschen Weinberg kann ich viel leichter niedergeschrien und niedergeschwiegen werden als ein niederländischer Jude. Davor bewahrt mich und meine Frau auch nicht unsere lebenslange emanzipatorische, aufklärerische, leidenschaftlich demokratische Arbeit als Lehrer, Wissenschaftler, Künstler und Poeten. Deshalb danken wir Leon de Winter von Herzen für seinen befreienden und beschützenden Kommentar zu einem Deutschland, das mühsam lernen muss aufrecht zu gehen. De Winter wird von nun an eine regelmäßige Kolumne in DIE WELT schreiben. Ich freue mich darauf.

Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 17.05.2025

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Michael Kochendörfer, Journalist

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