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Foto: Gossel, 2005
Foto: Hans-Peter Schwöbel, 2015
(Im Hintergrund Mo Edogas Schwemmholzskulptur)
Das Nest des Marabu 1
Hans-Peter Schwöbel
Meine „Wiederentdeckung“ des Automuseums Dr. Carl Benz in Ladenburg, anlässlich meines Auftritts dort, animiert mich, einen anderen Schatz in der Kurpfalz wieder aufzusuchen, den ich schon viele Jahre nicht mehr gesehen habe: Mo Edogas Schwemmholz-Skulptur beim Mannheimer Kunstverein.
Mo Edoga, Arzt und Künstler aus Nigeria (*1952 in Nigeria; † 17. Juni 2014 in Mannheim), hat mit Schwemmholz von „Mutter Neckar“ und „Vater Rhein“ große, „nichteuklidische Kugeln“ gestaltet. Meine Frau und ich waren hingerissen von dieser besonderen Kunst und haben Edoga schon lange vor seinem Werk beim Mannheimer Kunstverein mit unseren Schülern und Studenten bei seinen Skulpturen auf der Friesenheimer Insel besucht.
Die Skulptur am Kunstverein löste viel Unverständnis und feindselige Reaktionen aus. Leserbriefseiten füllten sich mit Wut und Ablehnung. Shitstorms würde man das heute nennen. Ich habe mich mit folgendem Leserbrief in die Debatte eingemischt, um dann auch mitten im Shitstorm zu stehen. Übungen dieser Art sind mir oft gelungen. Eine feine Dame zum Beispiel sagte mir, dass sie immer gerne in meine Aufführungen gegangen sei und zu Hause meine Autogrammkarte an die Wand gepinnt habe. Diese habe sie nun abgenommen und weggeworfen…
Mein Leserbrief von 2003:
„Mo Edogas Musik für die Augen
Auf dem Carl-Reiss-Platz, gleich hinter dem Mannheimer Kunstverein, wächst eine vielstielige, weitverzweigte Pflanze. Oder baut dort ein Riesenstorch sein Nest, vielleicht ein afrikanischer Marabu? Oder ist es Musik (Beethoven, Miles Davis?), die wir mit den Augen hören können? Vielleicht lebt dort gar ein Tier, eine große Spinne oder eine Riesenkrake auf Landgang?
Grässlich hässlich alleine der Zaun, der Edogas wunderbares Tier gefangen hält. Natürlich muss der Zaun sein - aus Sicherheitsgründen. Sonst könnte die Krake vielleicht auf die Planken krabbeln und dort hastende Mobber, Shopper und Schnäppchenjäger zu Tode erschrecken. Dieser Zaun schützt auch das große Tier vor bösen Menschen, die ihre Hunde darauf abrichten könnten, ihm in die Tentakeln zu machen. Hauptaufgabe des Zaunes aber ist sicher zu zeigen, wogegen Edogas feines Geweb sich richtet: Gegen die Diktatur des rechten Winkels! Edoga erweist sich als Bruder von Jean Tinguely, Friedensreich Hundertwasser und Antoni Gaudi.
Und natürlich unsere lieben Kleinen. Ohne Zaun würden sie sich sofort in das magische Tier verlieben und auf seinen starken Armen herumklettern. Dabei könnten sie abstürzen und so die Zahl der auf-den-Kopf-gefallenen Mannheimer weiter vergrößern, die vor dem Tier auftauchen mit der Frage: ‚Bist Du eine deutsche Krake? Das müssen wir wissen aus Haftungsgründen!’
Den Anwohnern, die das Privileg genießen, Mo Edogas großes Tier jeden Tag kostenlos sehen zu dürfen, empfehle ich folgende Übung: Schauen Sie sich die Rhythmen und Harmonien, die Poesie Edogas lange und konzentriert an, und führen Sie dann Ihren Blick auf die Gebäude, die den Carl-Reiss-Platz umstellen. Und halten Sie den Schmerz aus, der Sie übermannen muss, wenn Sie erkennen, wie hässlich manche Häuser sind im Vergleich zu Edogas Musik für die Augen.“
Prof. Dr. Hans-Peter Schwöbel
Mannheim, 18. 11. 2003
Das Foto aus dem Jahre 2005 haben uns unsere Freunde, Waltraud und Hartmut Gossel verehrt. Es zeigt Edogas „Himmelskugel“ in einem frühen Stadium. Das Foto darunter stammt aus dem Jahre 2015. Edoga war gerade ein Jahr zuvor gestorben und es entstand eine neue Debatte um dieses „unmögliche Ding“. Die Skulptur hatte damals also schon 12 Jahre in der „ewigen Vergänglichkeit“ (HPS) verbracht.
Im Mai 2025 sieht die gleiche Stelle so aus:
Wird fortgesetzt.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 24.05.2025