Jetzt als Podcast anhören:
Fotos: Hans-Peter Schwöbel
Sehr leicht. Ein Grab in den Lüften. Sehr schwer.
Hans-Peter Schwöbel
„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng …“
(Todesfuge, Paul Celan)
Mit meinem Freund besuche ich auch das Schoah-Mahnmal (Holocaust-Mahnmal) in Berlin-Mitte.
Auf einem Areal von 19.000 Quadratmetern stehen und liegen in einem wellenförmigen Feld 2711 Betonstelen. Ich erlebe das Feld in Berlin-Mitte als Dialog mit Celans Todesfuge. Peter Eisenmann widerlegt und bestätigt Celan. Er holt das „Grab in den Lüften“ herab in die Gravitation der Erde und der Scham. Tonnen. Schwere. Enge. Schluchten. Hartes Liegen. Hartes Licht. Harte Schatten. Baracken für die ewige Vergänglichkeit.
Von Jugend an teile ich das Trauern und Bedauern um und die Achtung vor den getöteten Juden und ihrer hohen Kultur. Gerade deshalb teile ich die Kritik, die Ahmad Mansour an der aktuellen Situation in Deutschland übt. Ich zitiere Mansour in Auszügen:
„Die deutsche Erinnerungskultur ist nicht ermüdet – sie ist entleert. Erinnert wird weiter, ja. Es gibt Gedenktafeln, Gedenkdaten, Kränze, Zeremonien. Aber das Erinnern an den Holocaust birgt oft keinen Schimmer mehr davon, was das „Nie wieder!“ soll und will. Wenn es darauf ankommt, wenn Juden heute wieder Opfer von Massenmord werden und Israel um sein Überleben kämpft, dann versickern die Tränen rasch im Gully. Dann wird die Stimmung kühl, die Rede trocken. Lebendige Juden, die sich wehren, die sieht man lieber kritisch, skeptisch. Statt „Nie wieder!“ droht der deutsche Zeigefinger: „So nicht!“
Große Teile der Gesellschaft, die stolz ist auf ihr Holocaust-Mahnmal im Zentrum der Hauptstadt, versagen ihre Empathie – nicht den toten Juden in Auschwitz, sondern den lebendigen Juden in Ashkelon, Beersheba, Haifa oder Tel Aviv. Israel wird nicht begriffen als Zufluchtsort der Überlebenden und ihrer Nachkommen, sondern als Störfaktor im Nahen Osten. Juden, die kämpfen, irritieren mehr als solche, in deren Andenken man Kerzen anzündet.
…
Starke Juden stören
Deutsche Erinnerungskultur traut sich das Weinen über tote Juden zu, aber sie misstraut den lebenden. Tote Juden rühren. Starke Juden stören. Ein Staat, der aktiv seine Bürger schützt und seine Grenzen verteidigt, passt nicht ins Gedenknarrativ. Fazit: Nicht das jüdische Leid provoziert so viele, sondern die jüdische Selbstbehauptung.
Eine Erinnerungskultur, die auf Schuld und Zerknirschung baut, kann kurzfristig pädagogisch wirken – langfristig bleibt sie auf sich fixiert, auf die Täter. Deutschland glaubt, seine historische Lektion aus dem Zivilisationsbruch gelernt zu haben. Als selbst ernannter Schuldweltmeister will es jetzt den Nachfahren der Opfer Schuld zuschreiben. Und ihnen ihr Verhalten vorschreiben.“ (Ahmad Mansour: Der deutsche Zeigefinger. DIE WELT digital, 25.06.2025; Druckausgabe: 27.06.2025, Seite 7)
Hinzufügen möchte ich: Der anschwellende Antisemitismus in Deutschland und anderen westlichen Ländern geht weitgehend von woken Linken aus. Wir müssen ihm entschieden entgegentreten.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 28.06.2025