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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Wir sind wahrheitsfähig!
Hans-Peter Schwöbel
In meinem Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 12.07.2025 habe ich ausgeführt:
„Eine der wichtigsten erkenntnistheoretischen Grundeinsichten lautet: All unser Erkennen, Verstehen, Urteilen, Entscheiden, Handeln und Unterlassen erfolgt unter unvollständiger Information. Ob im Alltag, den Künsten, den Wissenschaften, der Politik oder im Glauben. Unsere Informationsgrundlagen sind immer unvollständig.“
Dies bedeutet nicht, dass wir unfähig wären, Wahrheit im Sinne der Übereinstimmung einer Aussage mit der Realität zu erkennen und auszusprechen. Woke Milieus verwandeln Fragen nach der Wahrheit konsequent in Machtfragen.
Man denke nur an die unseligen Debatten (und Verweigerung von Debatten!) bei Themen wie Corona, sexuellem und grammatikalischem Geschlecht, Klima, Migration und vielen mehr. Hinter all diesen demokratie- und wissenschaftsfeindlichen Manövern lauert das überaus reale Gespenst des Leninismus-Stalinismus-Maoismus, wo die Wahrheit eine Klassenfrage ist, eine Frage des Klassenstandpunkts, eine Frage von „Haltung“.
„Sag mir, wo Du stehts…“
(Hartmut König)
und
„Die Partei,
Die Partei, die hat immer recht.
Und, Genossen, es bleibe dabei.
Denn wer kämpft
Für das Recht, der hat immer recht
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht.
Wer die Menschheit verteidigt,
Hat immer recht.
So, aus leninschem Geist,
Wächst von Stalin geschweißt,
Die Partei, die Partei, die Partei!“
(Text und Musik: Louis Fürnberg, 1950)
Ich kann sehr empfehlen, sich diese Tiraden in voller Länge zu Gemüte zu führen. Bis vor einigen Jahren hätte ich mir in meinen Albträumen nicht vorstellen können, dass dieser Schwachsinn wieder um sich greifen würde.
Hinter Entscheidungen über Wahrheit durch Macht stecken krasse Bildungsnotstände aber auch politisches Kalkül. Kleine Minderheiten besetzen erfolgreich Zitadellen der Macht, weit entfernt von wissenschaftlichen Befunden und Argumenten, ebenso weit von demokratischer Legitimation. So zerstören sie beides: Demokratie und Wissenschaft. Ein Bundesamt für Verfassungsschutz, das die Verfassung schützen würde und nicht die Macht, müsste genau auf diese dunklen Vorgänge sein Augenmerk richten.
Der gesamte wissenschaftlich-technische Fortschritt, wie auch die wachsenden Freiheitsmöglichkeiten in den letzten mehr als 600 Jahren (Renaissance, Reformation, Aufklärung) beruhen auf Wahrheitsgewinn, der sich an und in der Realität bewährt. Ebenso beruhen diese Fortschritte auf der immer wieder erfolgten Revision von Erkenntnissen. Wir können uns die Geschichte der Moderne als Dialektik fruchtbarer, ergiebiger Wahrheiten und ihrer Aufhebung durch neue Erkenntnisse vorstellen. Aufheben im Hegelschen Sinne: Überwinden und Bewahren gleichermaßen.
Wir sind wahrheitsfähig und dazu berufen, die Wahrheit auszusprechen, verbunden mit der Bereitschaft andere Befunde und bessere Argumente zu akzeptieren, so sie sich als tragfähiger erweisen. Der Kampf gegen dieses erkenntnistheoretische Paradigma bedroht nicht nur Wissenschaft und Demokratie, sondern die Dynamiken und Errungenschaften der Moderne insgesamt. Abendland adé???
„Der neue deutsche Faschismus hört auf den Namen Antifa.“
Henryk M. Broder
Cato 5/2024
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 19.07.2025